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In einem sehr aufschlußreichen Aufsatz zum Schwerpunktthema: KERNCURRICULA fragt sich Hans Ulrich Schiwek* : "Warum muss das KCII Englisch für die Oberstufe so intensiv erklärt werden?" Er beantwortet diese Frage, und gibt dem/der Kollegen/Kollegin damit einen wertvollen Ansatz dafür, die vorgegebenen Themenbereiche (e.g. Individual and society mit den Unterpunkten individual identity, roles and role conflicts, outsiders and counter cultures) sinnvoll zu gestalten. Schiwek schlägt vor, den Themenbereichen einen gemeinsamen Nenner zu geben, und zwar die 'interkulturelle Kompetenz' verbunden mit einem 'Orientierungswissen'. Beide Begriffe werden in den Vorgaben zum KCII benannt, der Kollege wird aber im Unklaren gelassen, wie er sie mit den Themenbreichen in Verbindung bringen kann. Dazu führt Schiwek nun Folgendes aus:
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Inhaltlicher Zusammenhang der Themenbereiche:
a) Interkulturelle Kompetenz
An einer einzigen Stelle bei der Beschreibung der Inhalte wird das KC vergleichsweise konkret. Die Darstellung des interkulturellen Lernens (3.2.3 Interkulturelle Kompetenzen) gibt einen Hinweis auf die Art, wie mit den vagen Inhalten der Themenbereiche inhaltlich sinnvoll gearbeitet werden kann und wie sie inhaltlich in einen Zusammenhang gebracht werden können.
Dieser Abschnitt unterscheidet zwischen a) Fakten/Wissen über die anglophone Kultur und b) Meinungen zu dieser, übernimmt also die Doppelfunktion von Sprache (Sachinformation und Meinung/Bewertung der Sache; vgl. Teih): das kulturelle Lernen wird durch Sprache vermittelt und in Sprache erworben und enthält wie diese Wissen und Meinung gleichzeitig. Diese interkulturelle Kompetenz soll nämlich über die gesamte Oberstufe hinweg vermittelt werden, steht also als inhaltliche Klammer über den Einzelpunkten der Themenbereiche.
Wenn die interkulturelle Kompetenz nicht nur eine formale Klammer sein soll,
- sondern sich über die Semester hinweg eine Entwicklung bei den Schülern abzeichnen soll, in der Wissensbereiche/ Themenbereiche aufeinander aufbauen und sich zu einem immer vollständigeren Bild formen (vgl. Denksysteme, grammatische Zeitenstruktur) und
- sich in ihr gleichzeitig Meinungen entwickeln können, die aus schnell hingeworfenen emotionalen Bewertungen zu immer stärker begründbaren und begründeten, d.h. sachund wissensorientierten Meinungen führen,
- sich also beide Funktionsbereiche von Sprache (Sache und Meinung) ausbilden ließen,
- dann ergäbe sich hieraus ein Zusammenhang für die Inhaltsabfolge der Semester und damit eine grundlegende Vorstellung darüber, wie die inhaltlichen Vorgaben des Zentralabiturs über die Semester gestuft werden sollten,
- besonders wenn diese Vorgaben zunehmend nur aus der Angabe von Werken/Filmen usw. bestehen und
- die wiederum nicht als je eigene Werke wichtig sein sollen, sondern zur Illustration der Themen dienen.
Bei dem bisher vom KC und dem Zentralabitur vorgeschlagenen
Vorgehen ist die Gefahr groß, dass sich diese Werke
und die Inhalte der jeweiligen Themenbereiche jeweils wie Telefonwissen hintereinander schalten, ohne einen inhaltlichen Bezug miteinander zu haben. Werden sie unter der Klammer des interkulturellen Lernens angeordnet, wird diese Gefahr deutlich geringer. Ja, sie wird sogar verschwinden.
Wenn sich die Werke
- zu einem sinnvollen Zyklus anordnen lassen,
- der Wissen vermittelt,
- das aufeinander aufbaut und
- sich spiralförmig immer wieder wiederholt,
- erneuert und somit
- bei der Konstruktion von Wissen und Meinungen durch die und in den Schülern hilft,
- so wird aus Wissen Können entwickelt.
Der Inhalt und die Abfolge dieses Wissens müssen allerdings inhaltlich noch etwas genauer dargestellt werden.
b) Orientierungswissen
Auch für die Anlage dieser Sequenz gibt es Hinweise im KC. Interkulturelles Lernen soll geschehen durch den Erwerb von Orientierungswissen zu anglophonen Ländern als übergeordnetem Punkt. Dieses Orientierungswissen nun entspricht den vorher von mir angesprochenen Denkmodellen, dem Können, das aus Wissen entsteht, sozusagen der ursprünglichen Bedeutung von Kompetenz.
Solches Orientierungswissen, solche Denkmodelle, zum Beispiel zum Themenbereich Individual and society, gibt es in der Wissenschaft bereits. Man kann sie also — wie das present perfect in der Grammatik — nachschlagen und inhaltlich füllen, nur eben nicht in der Englischdidaktik oder generell in der Anglistik, sondern in den Anschlusswissenschaften wie Psychologie, Soziologie, Philosophie usw., die die Wirklichkeit beschreiben und analysieren. Denn auch die Themenbereiche genauso wie die Literatur, an der sie behandelt werden sollen, beschäftigen sich mit der Beschreibung und Analyse von Wirklichkeit. Nur ist die Wirklichkeit der Literatur fiktiv, von Autoren erschaffen und geformt, also mit einer Botschaft versehen, einer Bedeutung, die die Leser erreichen soll. Auch hier finden wir wieder die Doppelfunktion von Sprache: Darstellung der Sache zusammen mit der Mitteilung einer Meinung. Zur Bearbeitung braucht man also Denkmodelle, die den Schülern Muster geben für die Analyse der „objektiven" Realität der Fiktion wie auch der Auseinandersetzung mit Meinungen. Man denke beispielsweise daran, wie häufig bei der Interpretation von Kurzgeschichten der BegriffVerdrängung fällt, ein Begriff aus der Psychologie; ebenso werden Meinungen eingeordnet als wahlweise typisch der Romantik, der Aufklärung, dem Darwinismus usw. zugehörig, also aus der Geistes-/Ideengeschichte erklärt.
Solche Denkmodelle/Schemata sind lernbar, sowohl kognitiv als Strukturen als auch in der praktischen Anwendung; in der regelmäßigen Verwendung dieser Denkmodelle würde sich dann aus Wissen Können entwickeln können.
* Quelle: Hans Ulrich Schiwek: Warum muss das KCII Englisch für die Oberstufe so intensiv erklärt werden? in Gymnasium in Niedersachsen 2/2012
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Mit Hilfe des Leitfadens 'Interkulturelle Kompetenzen' bekommen die Themenbereiche der einzelnen Semester einen Zusammenhang miteinander, d. h. man hat ein Gerüst, an dem man sich entlanghangeln kann. Voraussetzung für dieses Gerüst sind allerdings Vorkenntnisse, Orientierungswissen. Dieses könnten z.B. Denkmodelle sein, die Schüler und Lehrer gleichermassen besitzen müssen, damit jeder voneinander weiß, wovon er spricht. Am Beispiel des Themas 'Individual and Society' könnte so ein Denkmodell die Theorie der Moralentwicklung nach Kohlberg sein (siehe Google). Z.B.: Moralische Entwicklung oder
Kohlbergs Stufenmodell oder
Lawrence Kohlberg's stages of moral development
. Dieses Denkmodell ermöglicht es dem Kollegen/Kollegin mit Schülern über Charaktere in einem fiktiven Text zu diskutieren und kann sich sicher sein, dass Schüler Vorwissen bzw. Orientierungswissen über die Entwicklung eines Charakters (character development) haben. Dieses Vorwissen ist vergleichbar mit dem Wissen über die Grammatik, die man braucht, wenn man eine Sprache lernt. Ohne Grammatikgerüst und die entsprechende Terminologie läßt sicher schwerlich eine Sprache unterrichten.
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