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Unter Sprachmittlung, wie sie in der gemeinsamen Abituraufgabe zur Anwendung kommt, ist
die adressaten-, sinn- und situationsgerechte Übermittlung von Informationen vom Deut-
schen in die Fremdsprache zu verstehen. Es geht nicht um das Übersetzen von Texten.
Musteraufgabe 2
Ihre Schule arbeitet an einem COMENIUS-Projekt zum Thema „Working for Europe“ mit. Sie
haben folgenden Text gefunden. Verfassen Sie auf dessen Basis einen englischsprachigen
Artikel mit einer geeigneten Überschrift für die gemeinsame Homepage der beteiligten Schu-
len, in dem Sie den Beruf des Simultandolmetschers bei der EU vorstellen. Dabei gehen Sie
auch auf Arbeitsumfeld und Einstellungschancen ein.
Ihr Text soll etwa 250 Wörter umfassen.
[…]
Ein sonniger Freitag im Brüsseler Europaviertel. In einem Konferenzzentrum der EU, das mit
seiner klobigen Neubaufassade das Straßenbild verschandelt, taucht Katharina Schmid in
die klimatisierte, sonnenlose Welt der EU-Meetings ein. Mit dem Fahrstuhl fährt die zierliche
33-Jährige zu ihrem Arbeitsplatz im zweiten Stock. Sechs Glaskabinen sind in die Wände
oberhalb des Tagungsraums eingelassen. In einer davon sitzt Katharina Schmid mit zwei
Dolmetscherkolleginnen – sie bilden für dieses Treffen das deutsche Team. 27 Mitgliedsländer hat die EU,
Dokumente und Reden werden in 23 Sprachen übersetzt, denn jeder Abgeordnete hat das Recht, sich in seiner Muttersprache zu verständigen. […] Über eine Milliarde
Euro kostet es pro Jahr, damit sich die Abgeordneten in Brüssel und am Haupttagungsort in
Straßburg verstehen. Insgesamt gibt es 506 mögliche Kombinationen der Sprachen.
Simultandolmetscher müssen sich in komplizierte Sachverhalte einarbeiten können, brauchen Einfühlungsvermögen, Menschenkenntnis und gute Nerven. Laut Weltgesundheitsor-
ganisation gehört Dolmetscher zu den stressigsten Berufen überhaupt – gleich nach Jetpilot
und Fluglotse. Katharina hat sich den schmalen, schwarzen Kopfhörer so aufs blonde Haar
gesetzt, dass ein Ohr frei bleibt. So kann sie gleichzeitig die Stimme des Redners und ihre
eigene hören – das ist ungefähr so, als würde man bei einer starken Rückkopplung unbeirrt
weiter in sein Handy sprechen. Während die Dolmetscherin auf Deutsch formuliert, muss sie
gleichzeitig dem Redefluss weiter folgen – die Zeitverzögerung beträgt nur wenige Sekun-
den. […]
Auf der Tischplatte in Katharina Schmids Kabine liegen Gesetzentwürfe in mehreren Sprachen, außerdem hat jede Dolmetscherin einen kleinen Computer vor sich stehen,
um im Internet unbekannte Begriffe nachschlagen zu können, die aus allen möglichen Bereichen stammen können – von Tierschutz über das Gesundheitswesen bis zur Landwirtschaft.
Heute treffen sich unterhalb von Katharinas Kabine Bildungsfachleute aus allen 27 Mitgliedsstaaten, um über Mindeststandards für die Ausbildung von Ärzten und Zahnärzten zu reden.
Bei den technischen Fachbegriffen und Abkürzungen, die auf Griechisch, Portugiesisch oder Slowakisch durch den Raum schwirren, kann auch ein geübter Dolmetscher schnell ins Stol-
pern geraten.
Auf dem Kabinenplan, den jeder der 18 heute anwesenden Dolmetscher vor Sitzungsbeginn
bekommen hat, kann Schmid die Sprachverteilung sehen. Sie selbst überträgt aus dem Englischen, Französischen und Portugiesischen ins Deutsche. Derzeit lernt sie noch Italienisch
als vierte Sprache dazu. Doch schon jetzt ist ihr Mix für die Bedürfnisse der Europäischen
Institutionen, die die weltweit größten Dolmetscher- und Übersetzerdienste betreiben, ziemlich ideal, denn häufig wird in der EU-Kommission und im Rat der Regierungen nur auf
Deutsch, Englisch und Französisch verhandelt. […]
„Damit die Kosten nicht explodieren, haben wir 2004 das ‚Demand and pay‘-System eingeführt“, erklärt Ian Andersen von der Generaldirektion Dolmetschen, dem für das Dolmetschen
und die Organisation von Konferenzen zuständigen Dienst der Europäischen Kommission.
Seither bietet seine Abteilung nur noch die wichtigsten Sitzungen in allen 23 Sprachen an.
Wer zusätzlichen Sitzungen in seiner Muttersprache folgen möchte, muss bezahlen. […]
Während Ian Andersen sein Bezahlsystem am Standort Brüssel als „smart solution“ preist
und fest überzeugt ist, dass auch das EU-Parlament in Straßburg und Brüssel mit weniger
Übersetzungsaufwand auskommen könnte, eint beide eine Sorge: Der Nachwuchs fehlt. Auf
der Facebookseite Interpreting-for-Europe wirbt die EU daher für einen abwechslungsreichen, kreativen, gut bezahlten Beruf, der mit vielen Reisen verbunden ist. Nach der letzten
Erweiterungsrunde waren es vor allem die kleinen Sprachen, für die qualifizierte Dolmetscher fehlten. In den baltischen Staaten wurden zum Beispiel unter der russischen Besat-
zung jahrzehntelang die Landessprachen systematisch verdrängt. Von der Insel Malta mit
ihren gut 400.000 Einwohnern sind bis heute nicht genug Dolmetscher nach Brüssel gekommen. Doch man muss keine „exotischen“ Sprachen wie Lettisch, Maltesisch oder Irisch-
Gälisch beherrschen, um in Straßburg und Brüssel gute Aussichten auf einen Job zu haben.
Das Durchschnittsalter in den deutschen Sprachkabinen liegt bei 50 Jahren, viele der Dolmetscher gehen demnächst in Rente. „In welchem anderen Job ist man dabei, wenn Ge-
schichte geschrieben wird?“, fragt Cosmidou. Und Susanne Altenberg, Chefin der deutschen
Sprachabteilung, ergänzt: „Ich lese gerade Tony Blairs Memoiren. Als er im Europaparlament seine berühmte Rede hielt, war ich seine deutsche Stimme.“
(635 Wörter)
Quelle: Daniela Weingärtner, „Lost in Translation”, in: Fluter 39, Sommer 2011, S. 16-19
Erwartungshorizont:
Students’ work is to be assessed both in terms of content and language according to the respective
rating scales.
Students are expected to write an article, with a suitable headline, for a website. They should use topic
specific vocabulary as exemplified in the content points below and should bear in mind that the poten-
tial addressees are mainly young people.
• simultaneous interpreters working for the EU cover all 23 official languages of the member states
• English, French and German are most widely used, but smaller, more ‘exotic’ languages
such as Maltese or Irish Gaelic are also in demand
• an extremely demanding and stressful job; interpreters have to
o listen and interpret simultaneously
o work in booths without daylight
o be capable of familiarizing themselves quickly with all sorts of subjects (e.g. dentistry,
agriculture, animal rights) and use the relevant technical vocabulary
o efficiently use different sources of reference (e.g. Internet)
o show empathy and be good judges of character
o have good nerves
• on the other hand the job is well-paid, creative, interesting and offers the opportunity to
travel and to witness history first hand
• good job prospects (many interpreters in the German team nearing retirement age, etc.)
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